Im Burgers’ Zoo bevorzugen wir in unserem Bestand Tiere, die ihre Jungen selbst, also ohne die Hilfe von Tierpflegern, aufziehen. Jungtiere lernen von der Mutter und/oder vom Vater wichtige Fähigkeiten, die später buchstäblich lebensnotwendig sind. Bei einigen Tierarten spielt das Vatertier in dieser Hinsicht sogar eine wichtigere Rolle als die Mutter. Bei mehreren Arten übernehmen die älteren Geschwister eine unterstützende Rolle bei der Aufzucht der Jungen, und bei anderen Arten ist sogar die ganze Gruppe an der Ausbildung der Jungen zu vollwertigen erwachsenen Gruppenmitgliedern beteiligt. Wenn Jungtiere von Menschen großgezogen werden, werden ihnen viele lebenswichtige, artspezifische Fähigkeiten während des Heranwachsens nicht vermittelt. Solchen Tieren fällt oft schwer, sich anschließend in eine Gruppe von Artgenossen zu integrieren. Manchmal jedoch gibt es triftige Gründe, sich für die Handaufzucht zu entscheiden. In dieser Ausgabe geht es um die Handaufzucht bei Gorillas.
Das Gorillaweibchen Makoua wurde kurz nach der Geburt im Berliner Zoo von seiner Mutter verstoßen. Deshalb wurde das Jungtier bereits in sehr jungem Alter in den Stuttgarter Zoo umgesiedelt. Dort gibt es seit den 1990er Jahren einen speziellen Gorilla-Kindergarten, der in Abstimmung mit dem Koordinator des europäischen Populationsmanagement-Programms für Gorillas eingerichtet wurde. Hier finden junge Gorillas aus ganz Europa, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei ihrer Mutter aufwachsen können, ein neues Zuhause. Die Affenpfleger in Stuttgart verfügen über reichlich Erfahrung mit neu geborenen Gorillas, und die Kleinen wachsen zusammen mit Schicksalsgenossen auf. Makoua war also während des Heranwachsens von Artgenossen und nicht ausschließlich von Menschen umgeben, aber diese Artgenossen waren alle mehr oder weniger in ihrem Alter.
Gorillas sind intelligente Menschenaffen mit relativ wenig angeborenen, dafür reichlich erlernten Verhaltensweisen. Genau wie Menschen lernen sie in ihrer Jugend viel von den Eltern, indem sie sich Dinge von ihnen abschauen. Insbesondere von ihren Müttern lernen sie zudem wichtige soziale Verhaltensweisen: Wie gehen Gorillas miteinander um? Wie reagiert ein Gorilla auf die Zurechtweisung durch einen ranghöheren Artgenossen und was sind die Anzeichen für Spannungen in der Gruppe? Obwohl Makoua körperlich zu einem gesunden Gorilla heranwuchs, fehlten ihr infolge der Ausgangslage wichtige Lektionen fürs Leben, die Gorillas im Normalfall mit der Muttermilch eingeflößt bekommen.
Als Makoua alt genug war, um in eine bestehende Gruppe integriert zu werden, wies sie einen Entwicklungsrückstand auf. Auf Anraten des Koordinators für das europäische Populationsmanagement-Programm sollte die Gruppe im Burgers’ Zoo Makouas neues Zuhause werden. Am 28. November 2008 traf das junge Gorillaweibchen in Arnheim ein. Die Eingewöhnung wurde ganz in Ruhe und schrittweise durchgeführt, sodass Makoua allmählich immer mehr von der Gruppe sah, roch und hörte, bis schließlich der Moment gekommen war, in dem sie auch körperlich mit den anderen Gorillas in Kontakt trat. Anfangs fand Makoua die Gegenwart der großen erwachsenen Artgenossen ziemlich beunruhigend.
Ihre erste Begegnung mit dem Silberrücken Bauwi, einem beeindruckenden Männchen von annähernd 200 Kilogramm Lebendgewicht, verlief nicht gerade reibungslos. Normalerweise verhält sich ein neues Weibchen unterwürfig, um von dem dominanten Männchen möglichst schnell als neues Mitglied seiner Gruppe akzeptiert zu werden. Makoua war jedoch so sehr vom Eindruck dieses silberfarbenen Riesen überrascht, dass sie ihm erst einmal spontan eins auf die Schnauze gab, als er ihre Bekanntschaft machen wollte. Eine Aktion, die sich nach „Gorilla-Etikette“ absolut „nicht gehört“ und durchaus schlimme Folgen hätte haben können ... Zum Glück für Makoua fegte Bauwi sie nur grob mit einer kräftigen Armbewegung zur Seite, und damit war die Sache für ihn erledigt. Wenn es nach Bauwi ging, konnte Makoua ihm von nun an gestohlen bleiben.
Makoua musste sich erst an ihre neue Situation gewöhnen und hielt sich in den ersten Monaten oft am Rande der Gruppe auf. Langsam aber sicher beobachteten die Tierpfleger jedoch mehr und mehr spielerisches Verhalten, vor allem mit den jungen Gorillas. Nachdem Bauwi den seltsamen Neuankömmling eine Weile ignoriert hatte, suchte er irgendwann erneut Makouas Nähe und zum Glück war sie diesmal weniger ängstlich und aggressiv. Sie fand sich Schritt für Schritt immer besser zurecht. Einige Jahre später paarte sie sich sogar mit Bauwi, und nach acht Monaten Tragzeit wurde Makoua 2013 selbst Mutter.
Leider begann für Makoua auch dieses wichtige Ereignis in ihrem Leben mit Nachholbedarf, denn Menschenaffenweibchen, die mit der Flasche aufgezogen wurden, wissen für gewöhnlich nicht, was sie mit ihrem erstgeborenen Nachwuchs anfangen sollen. Makoua hatte jedoch vor und während ihrer Trächtigkeit sehr gut aufgepasst, als in der Gruppe mehrere Weibchen Junge aufzogen. Seit ihrem Eintreffen in Arnheim waren dort fünf Gorillas zur Welt gekommen, darunter, was bei Gorillas höchst selten passiert, sogar ein Zwillingspaar. Daran zeigt sich einmal mehr, wie viel junge Gorillas von den erfahrenen erwachsenen Tieren lernen und wie wichtig es für junge Weibchen ist, ihren älteren Artgenossinnen bei der Aufzucht von Nachwuchs zuzusehen. Auf diese Weise können sie deren Verhalten kopieren, wenn sie selbst Mutter werden.
Nach einem zögerlichen Start mit einigen mehr oder weniger erfolgreichen Verhaltensweisen, bei denen Makoua und ihr Junges von den Tierpflegern genauestens beobachtet wurden, richtete sich das junge Weibchen schließlich immer besser in der Mutterrolle ein. Zum Glück ist Makoua inzwischen vollständig in die Gruppe integriert worden und findet sich dort gut zurecht. Dennoch gibt es nach wie vor Phasen, in denen sie sich nur mit Mühe in der Gruppe behaupten kann. Dass neben der Lebenserfahrung im jugendlichen Alter auch Persönlichkeit und Charakter eine Rolle spielen, zeigt das Beispiel eines anderen Weibchens in der Gorillagruppe. Nimba wurde in Barcelona mit der Flasche aufgezogen, verfügt aber mehr als Makoua über die sozialen Fähigkeiten, die ein Gorilla in der Gruppe braucht, und gibt sich sehr selbstsicher.
Diese Geschichte veranschaulicht sowohl die Notwendigkeit der Handaufzucht, um einen jungen Menschenaffen vor dem Tod zu bewahren, als auch die Tatsache, dass das Jungtier wichtige Lebenslektionen verpasst, wenn es nicht mit seiner Mutter in einer natürlichen, sozial strukturierten Gorillagruppe aufwächst. Lässt man das Jungtier, wenn es erforderlich ist, vom Menschen aufziehen oder nicht? Es ist ein Dilemma, das einen Zoo dazu zwingt, seine Entscheidungen stets gut abzuwägen.
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