Für viele bedrohte Tierarten wurden europaweit Zuchtprogramme entwickelt, an denen alle Mitglieder der „Europäischen Vereinigung für Zoos und Aquarien“ (European Association of Zoos and Aquaria, EAZA) teilnehmen, die eine betreffende Tierart in ihrem Bestand haben. Die EAZA bezeichnet dieses Projekt als „Europäisches Erhaltungszuchtprogramm“, aber treffender wäre der Begriff „Europäisches Populationsmanagement-Programm für bedrohte Tierarten“. Schließlich geht es dabei um weitaus mehr als nur um die Zucht. In dieser Reihe analysieren wir am Beispiel einiger konkreter Tierarten, mit welchen Herausforderungen sich Biologen konfrontiert sehen. In dieser Ausgabe: der Adlerrochen.
Als weltweit größter Züchter Gefleckter Adlerrochen hat der Burgers‘ Zoo ein europäisches Stammbuch angelegt und die Population dieser Tiere in den öffentlichen Aquarien Europas jahrelang koordiniert. Vor einigen Jahren hat der Zoo in Breslau die Koordination dieses Zuchtprogramm übernommen. Während dieser Bericht verfasst wird, leben 95 Gefleckte Adlerrochen in europäischen Besucheraquarien: 51 Männchen und 44 Weibchen. In unserem Ökodisplay Burgers‘ Ocean schwimmen derzeit sechs erwachsene Tiere: drei Männchen und drei Weibchen. Aktuell haben wir zudem fünf Jungtiere, die aber wahrscheinlich in naher Zukunft in andere öffentliche Aquarien umziehen werden.
In der Geschichte von Burgers‘ Ocean sind nicht weniger als 71 Adlerrochen zur Welt gekommen: 41 Männchen, 29 Weibchen und ein weiteres Tier, dessen Geschlecht unbekannt ist. Wir konnten bisher 51 Adlerrochen an befreundete Aquarien verschenken und fünf weitere Jungtiere warten wie gesagt auf ihre Umsiedlung. Was ist der Schlüssel zu diesem großen Erfolg?
Zum Teil lässt sich der Zuchterfolg mit der intensiven Betreuung durch unsere Tierpfleger und Tierpflegerinnen erklären. Die Tiere werden täglich einzeln mithilfe von Futterzangen gefüttert. Dabei wird genau aufgezeichnet, was jedes Tier in welcher Menge gefressen hat. All diese Daten werden sorgfältig dokumentiert und analysiert, sodass sich bestimmte Muster erkennen lassen. Auf diese Weise haben wir zum Beispiel herausgefunden, wie lange ein Zyklus und wie lange die Trächtigkeit bei einem Adlerrochen dauern. Das bringt uns zu ihrer besonderen Art der Fortpflanzung: Adlerrochen sind ovovivipar. Sie brüten (meistens eins bis drei) Eier in ihrem Körper aus. Wenn das Eigelb verbraucht ist, wird das heranwachsende Jungtier über die Gebärmutterwand mit einer speziellen Flüssigkeit ernährt. Das Jungtier wird als Miniaturausgabe seiner Mutter geboren.
Ein weiterer Teil der Erklärung liegt in den speziellen Lebensbedingungen der Adlerrochen. Zunächst benötigen die Tiere genug Platz für ihr natürliches (Schwimm-)Verhalten. In Arnheim steht ihnen ein Becken mit nicht weniger als 1,6 Millionen Litern Wasser zur Verfügung. Die einzigen anderen Bewohner sind einige weitere Rochen und Knochenfische. Dadurch wird eine relativ ruhige Umgebung geschaffen. Darüber hinaus sind Wasserqualität, Temperatur und die gewünschte Strömung des Wassers sehr wichtig. Auch die Zusammensetzung und Menge der Nahrung spielen eine große Rolle für die erfolgreiche Zucht.
Der Burgers‘ Zoo hat mithilfe von DNA-Forschung erstmals wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Parthenogenese auch bei Adlerrochen auftritt. Parthenogenese bedeutet ungeschlechtliche Fortpflanzung (vom griechischen Wort parthenos für „Jungfrau, Mädchen“ und genesis für „Geburt“). Um DNA-Untersuchungen an jedem einzelnen Adlerrochen durchführen zu können, hat der Burgers‘ Zoo eine spezielle Technik entwickelt. Am Schwanzansatz besitzen Adlerrochen einen oder mehrere Giftstachel. Von einem der Stachel wird ein kleines Stück entfernt: Das Tier spürt davon nichts, der Eingriff ist mit dem Schneiden eines Fingernagels vergleichbar. Außerdem wächst das abgetrennte Stück des Stachels mit der Zeit nach. Der Stachel ist von einer sehr dünnen Hautschicht umgeben, aus der im Labor DNA-Material gewonnen werden kann. Genetische Untersuchungen werden auch durchgeführt, um herauszufinden, wer die Eltern eines bestimmten Tieres sind. Auf diese Weise konnten wir bei einigen jungen Adlerrochen die Parthenogenese wissenschaftlich nachweisen.
Der Burgers‘ Zoo hat noch ein weiteres ungewöhnliches Phänomen aufgedeckt. Zwei Jungtiere aus demselben Wurf (Adlerrochen bekommen meistens nur ein Junges, aber zwei Jungtiere und sogar drei zur gleichen Zeit kommen ebenfalls vor) können tatsächlich zwei verschiedene Väter haben! Ein Phänomen, das auch aus der griechischen Mythologie bekannt ist. So hatte beispielsweise der Halbgott und Held Herakles einen göttlichen Vater (Zeus) und eine sterbliche Mutter (Alkmene), sein Zwillingsbruder Iphikles jedoch einen sterblichen Vater (Amphitryon). Zeus hatte sich als Amphitryon verkleidet, um die ahnungslose Alkmene zu verführen, die zugleich von dem echten Amphitryon schwanger war. So ist es im Mythos überliefert.
Der enorme Zuchterfolg bei den Gefleckten Adlerrochen im Burgers‘ Zoo stellt gleichzeitig eine Herausforderung für die Zukunft dar. Um eine möglichst große genetische Variation aufrechtzuerhalten, müssen wir verhindern, dass langfristig alle Adlerrochen in Europa auf die Tiere aus dem Burgers‘ Zoo zurückgehen. Aus diesem Grund bekommen drei der derzeit in Europa lebenden erwachsenen Weibchen (zwei im Burgers‘ Zoo und eines in Boulogne-sur-Mer) ein Verhütungsmittel: Sie haben bereits mehr als genug Nachwuchs gezeugt. Jetzt ist es Zeit für die nächste Generation. Mithilfe der Abstammungsbestimmung wurden alle Jungtiere so auf die öffentlichen Aquarien in Europa verteilt, dass keine Inzucht stattfinden kann. Es ist sehr erfreulich, dass diese Art sich bereits in drei anderen Aquarien fortgepflanzt hat; in zwei dieser Aquarien waren es Jungtiere aus Arnheim, die Nachwuchs bekommen haben. Die zweite Generation schwimmt also bereits an verschiedenen Orten in Europa durchs Wasser!
Der Burgers‘ Zoo teilt sein Wissen und seine Erfahrung mit der Zucht von Gefleckten Adlerrochen in Vorträgen und wissenschaftlichen Publikationen, in der Hoffnung, dass mehr europäische Aquarien diese Art in Zukunft erfolgreich züchten werden. Auf diese Weise bleibt die Aquarienpopulation genetisch vielfältig, was wichtig ist, um langfristig eine gesunde Population zu erhalten. Wir sind daher starke Befürworter einer intensiven internationalen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Aquarien.
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