Vermutlich gibt es kaum eine Branche, in der die Zusammenarbeit intensiver ist als in der internationalen Welt der Tierparks. Moderne Zoos haben jede Woche mit etwa 25 anderen nationalen und internationalen Tiergärten Kontakt. Um Zuchtprogramme für bedrohte Tierarten professionell durchführen zu können, finden alljährlich zahlreiche Tiertransporte von dem einen in einen anderen Zoo statt. Dabei stellen sich interessante und oftmals komplexe Herausforderungen. Die Zoobesucher bekommen nur einen Bruchteil dessen mit, was vor und hinter den Kulissen geregelt werden muss, damit die Tiere möglichst artgerecht gehalten werden können. In einer wöchentlichen Kolumne berichtet Zoosprecher Bas Lukkenaar den Lesern von den vielfältigen Aufgaben des Arnheimer Tierparks Koninklijke Burgers’ Zoo.
In der Vergangenheit wurden immer wieder Diskussionen über die Zahl der Unterarten des Schimpansen geführt. Meistens wurde zwischen den Schimpansen aus West-, Zentral- und Ostafrika unterschieden. Einige Wissenschaftler unterteilten diese Arten noch weiter, andere widersprachen diesem Ansatz. Die heutige vierte Unterart, die aus dem Grenzgebiet zwischen Nigeria und Kamerun stammt, wurde zudem erst relativ spät beschrieben. Die Kriterien, die bei diesen Unterscheidungen angeführt wurden, waren relativ ungenau, und bei allen Unterarten zeigte sich zudem eine große Verschiedenheit zwischen den individuellen Tieren. Erst anhand genetischer Untersuchungen wurde die Taxonomie der wilden Schimpansen wirklich ersichtlich. Anschließend war es möglich, Tests zu entwickeln, um die Unterarten der in Zoos lebenden Schimpansen zu bestimmen. Diese Gentests in Form von DNA-Analysen können heutzutage auf Grundlage von Haarproben durchgeführt werden; Blutproben werden dazu nicht mehr benötigt.
Warum aber sind diese Erkenntnisse von so großer Bedeutung? Moderne Zoos sind darauf bedacht, keine Tiere mehr aus der Natur in ihre Parks zu holen. Zwar wurden im vergangenen Jahrhundert noch Schimpansen aus freier Wildbahn in Tierparks gebracht, aber dank professioneller Zuchtprogramme ist das eigentlich schon lange nicht mehr nötig. Wenn man aber in den europäischen Tiergärten eine gesunde Schimpansenpopulation aufbauen will, muss man genau wissen, welche Tiere einer reinen Unterart entstammen und welche Tiere Kreuzungen zwischen verschiedenen Unterarten sind. Allein in den europäischen Tierparks, die sich dem Europäischen Tiergartenverband EAZA angeschlossen haben, geht es um 750 Schimpansen, für die dies individuell untersucht werden muss!
Wer hat sich zu dieser Arbeit bereitgefunden? Der Menschenaffenforscher Tom de Jongh, über Jahre hinweg Biologe im Burgers’ Zoo und seit Juni 2017 pensioniert, hat diese umfangreiche Aufgabe gemeinsam mit seinen dänischen Kollegen Frands Carlsen (Zoo Kopenhagen) und Christina Hvilsom (Koordinatorin der Gentests) übernommen. Rund zehn Jahre lang haben die drei gemeinsam alle Unterarten der rund 750 Tiere in Europa kartiert – eine wahre Fleißarbeit!
Was ist bei dieser Arbeit herausgekommen? Vor den Untersuchungen war bekannt, dass viele der ursprünglichen Affen, die am Anfang der Tierparkpopulationen standen, aus Westafrika nach Europa verschifft worden waren. Grund dafür war häufig die koloniale Vergangenheit der Länder, in die die Schimpansen gebracht wurden. Die Ergebnisse zeigen dementsprechend, dass die größte Tiergruppe in Europa zur westlichen Unterart gehört. In Südeuropa lebt allerdings in Tiergärten eine kleinere Gruppe von Schimpansen der zentralen Unterart, deren Vorfahren aus zentralafrikanischen Ländern importiert wurden. Für beide Unterarten wurde nun ein europäisches Zuchtprogramm aufgelegt.
Die Untersuchungen haben jedoch nicht nur Vermutungen bestätigt, sondern auch überraschende Ergebnisse erbracht: Schimpansen, von denen man dachte, sie seien reinrassige Vertreter einer bestimmten Unterart, scheinen doch eine gemischtere Abstammung zu haben als vermutet. Dagegen sind Schimpansen, von denen man dachte, sie seien Kreuzungen zweier Unterarten, vollkommen reinrassig. Für die Zukunft der Tierparkpopulationen ist von Bedeutung, dass die Zucht mit Tieren erfolgt, die genetisch rein zu einer Unterart gehören, damit das gesamte ursprüngliche Genmaterial in diesen Tieren erhalten bleibt. Dabei gilt es, einerseits möglichst viel von der natürlichen genetischen Vielfalt der Unterarten zu erhalten, die in der Natur leben, und andererseits möglichst viel von der natürlichen Vielfalt der individuellen Tiere innerhalb jeder Unterart zu bewahren.
Tiere, die offensichtlich auf Kreuzungen zurückgehen, erhalten ein Verhütungsmittel – das übrigens exakt der Antibabypille für Frauen entspricht – oder werden sterilisiert. Sie sind nach wie vor in den Tiergärten willkommen, sollen aber auf keinen Fall mehr Junge bekommen.
Die Ergebnisse der jahrelangen Forschung haben demnach großen Einfluss auf das „Management“ der Tierparkpopulationen und sorgen dafür, dass sowohl in der westlichen als auch in der zentralen Unterart genetisch möglichst variantenreiche Zuchtgruppen entstehen. Demzufolge müssen Tiergärten auch zukünftig keine Schimpansen mehr aus der Natur holen und theoretisch wäre es möglich, diese Menschenaffen irgendwann in freier Wildbahn auszusetzen. Leider nur theoretisch, denn den Schimpansen ergeht es in der Natur so schlecht, dass Tierschützer alle Hände voll zu tun haben, um die heutigen wilden Schimpansen zu schützen. Wir sind jedoch optimistisch und hoffen, dass diese Situation sich einst zum Guten wendet. Für diesen Fall gibt es ein äußerst interessantes zusätzliches Genreservoir in den europäischen Tiergärten!
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